KÄTHE-KOLLWITZ-GYMNASIUM WESSELING

Sozialwissenschaften

Gesellschaft findet ohnehin statt. Warum sollte man sich also umständlich mit ihr be­schäftigen? Zu einem Gegenstand alltäglichen Nachdenkens wird die Gesellschaft vor allem dann, wenn sich in dem scheinbar normalen gesellschaftlichen Zusammenhang Brüche zei­gen, wenn


- es im Zusammenleben Einzelner mit anderen zu dauerhaften Konflikten kommt,

- gesellschaftliche Gruppen nicht miteinander auskommen,

- es Missstände gibt, die nicht auf ein zufälliges Fehlverhalten Einzelner zurückzufüh­ren sind,

- wenn eine Gesellschaft wegen grundsätzlicher Konflikte auseinander zu brechen droht.


Die Gesellschafts- bzw. Sozialwissenschaften, zu denen unter anderem die Soziologie, die Politikwissenschaft und Teile der Wirtschaftswissenschaften zählen, nehmen Ge­sellschaft grundsätzlicher in den Blick. In die Gesellschaft wachsen wir hinein, sie um­gibt uns mit scheinbaren und tatsächlichen Notwendigkeiten und prägt unseren Blick auf die Welt – und auf uns selbst. Zu den wichtigsten Fragen der Sozialwissenschaften ge­hören jene nach den Konstitutionsbedingungen dieser gesellschaftlichen Realität:


- Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben Einfluss auf unser Han­deln?

- Wie wirken sich diese Bedingungen konkret aus?

- Inwieweit ist die gesellschaftliche Realität beeinflussbar?

- Welche falschen Auffassungen existieren von dieser Realität – und inwieweit ha­ben diese Auffassungen selbst wiederum gesellschaftliche Ursachen?


Beschäftigt man sich aus wissenschaftlichem oder politischem Interesse mit Gesell­schaft, dann kommt es darauf an, den Gegenstand der Untersuchung zu bestimmen. Nur wenn Gesellschaft ein Bereich ist, der sich von anderen Erkenntnisbereichen ein­deutig unterscheiden lässt, sind sinnvolle Aussagen über ihn möglich. Zu diesem Zweck sucht die Sozialwissenschaft in dem scheinbar ungeordneten Geschehen an der gesell­schaftlichen Oberfläche  nach Strukturen und Kategorien.

Was dabei entsteht, ist keine Widerspiegelung der Realität. Es resultieren vielmehr mo­dellhafte Vorstellungen, die bewusst bestimmte Aspekte der Wirklichkeit herausgreifen und andere vernachlässigen. Ein solches Vorgehen bedarf der wissenschaftlichen (Selbst-) Überprüfung und Rechtfertigung. Neben dem Nachweis theoretischer Strin­genz und Nachvollziehbarkeit suchen die Sozialwissenschaften – je nach Gegenstands­bereich – die Realitätsnähe ihrer Ergebnisse mit quantitativen (Zählen, Messen) und qualitativen empirischen Verfahren (z.B. der Analyse repräsentativer Fallbeispiele) zu belegen.

Im Unterschied zu den Naturwissenschaften ist der Gegenstandsbereich der Sozialwis­senschaften dadurch gekennzeichnet, dass er grundsätzlich veränderbar ist. In der Ge­schichte der Menschheit hat es unzählige Formen der Produktion und Distribution von Gütern, des Familienlebens und der politischen Organisation gegeben, und wir können begründet davon ausgehen, dass auch die gegenwärtigen Formen gesellschaftlichen Lebens nicht den Endpunkt der Geschichte darstellen. Gesellschaftswissenschaft be­schäftigt sich daher auch immer mit der Frage, welche zukünftigen Entwicklungen sich anzeichnen und inwieweit sie beeinflussbar sind.

Politik verläuft konflikthaft. Ist gesellschaftliche Ungleichheit ein Makel, ist sie hinzuneh­men oder ist sie gar begrüßenswert? Wie und zu wessen Nutzen soll gewirtschaftet werden? Haben alle gesellschaftlichen Gruppen die gleichen Möglichkeiten, den Pro­zess politischer Entscheidungen mitzubestimmen? Diese Fragen sind umstritten, und die verschiedenen demokratischen Verfahren haben nicht zuletzt den Zweck, diese Auseinandersetzung in  gesellschaftlich verträglichen Bahnen zu halten.

Obwohl die Sozialwissenschaften kaum in der Lage sind, die politische Veränderung selbst anzustoßen, sind sie doch in die politischen Veränderungen ihrer Zeit eingebun­den. Sie schaffen Legitimation für gesellschaftliche Strukturen oder stellen diese in Frage; ihre Ergebnisse werden in politischen Programmen aufgegriffen und genutzt. Das bedeutet nicht, dass es Sozialwissenschaften im strengen Sinne angesichts der Interessengebundenheit der Standpunkte nicht gebe. Vielmehr ist die Untersuchung des Verhältnisses von Erkenntnis und Interesse selbst ein Gegenstand der Sozialwissen­schaften.

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